Die Toten Hosen melden sich mit einem ihrer besten und kraftvollsten Alben zurück
Ein
(unvollständiger) Überblick über 20 Jahre Karriere und Gedanken zum
öffentlichen Bild der deutschen Punkband.
Silvano Cerutti
Vom ersten Ton ist zu hören, was man sich von einem guten
Rock-Album erhofft: eine Band, die sich mit aller Kraft ins Zeug legt und doch
geschmeidig bleibt. Die Songs sind scharf angebraten und saftig, die Texte
gepfeffert, jeder Griff in die Saiten, jeder Schlag auf die Felle drängt
vorwärts - eine Stimmung wie man sie mit einem durchgedrückten Gaspedal
verbindet. Im ersten Text heisst es «weil du nur einmal lebst» - und schon der
zweite Song ist eine ironische Antwort darauf. Das hätte man nicht erwartet,
schon gar nicht von den Toten Hosen.
Es ist so eine Sache mit dem Image. Nach 20 Jahren Karriere hängt den Toten
Hosen noch immer das Bild der Altbier-saufenden
«Opel-Gang» (1983) an. Ähnlich wie die Pogues wurden die Düsseldorfer in erster
Linie für ihre Trinklieder bekannt - fanden auf ihren ersten Alben aber keinen
Ausgleich in schnoddriger Romantik wie die Iren. Im Gegenteil. Die Band ergab
sich in Flapsigkeiten und ihre textilen Sünden lenkten zusätzlich ab. So
bescheuert wie die Hosen hat sich keine Band je vorsätzlich angezogen. So
überlebte der Ruf einer Klamauk-Truppe selbst Alben, bei denen Anspruch und
Ausdruck übereinstimmten. Mit «ein kleines bisschen Horrorshow» (1988)
lieferten die Hosen den Soundtrack für eine Bühnenfassung von «A Clockwork Orange». Dabei übertrugen die Musiker nicht nur den
Inhalt des Buches in ihre Songs, sondern setzten ihn auch gekonnt in Bezug mit
dem Zeitgeschehen zwischen Anti-AKW-Protesten und dem Mief einer konservativ
regierten Bundesrepublik kurz vor dem Mauerfall. Das Image blieb trotzdem
haften, erst Recht als die Band mit dem nachfolgenden Doppelalbum «Kreuzzug ins
Glück» (1990) erstmals auf Platz eins der Hitparade landete - und sich wieder
Spassnummern «erlaubt» hatte.
Höhepunkt als Katastrophe
Natürlich trugen die Toten Hosen zu ihrem Image bei - mit ihren früheren
Exzessen, vor allem aber mit fast krankhaftem Understatement. «Um musikalische
Qualitäten ging es uns nie», gab Sänger Campino 1991 der Zeitschrift Tempo zu
Protokoll. Gemeint war zwar nur, dass sich keiner der Musiker als besonders
begnadet bezeichnen wollte, verstanden wurde es anders. Dabei hatte die Band zu
diesem Zeitpunkt mit viel Herzblut «Learning English» eingespielt - eine
Platte, auf der sie zusammen mit ihren Punk-Idolen deren grösste Hits neu
aufnahm. Auf «Opium fürs Volk» (1996) setzte sich die Band mit der
(christlichen) Religion auseinander, was gelegentlich etwas plakativ geriet und
danach kams knüppeldick. Die Toten Hosen wurden geschüttelt von persönlichen
Schicksalsschlägen und dem Tod eines Fans: Ausgerechnet beim gross aufgezogenen
1000-sten Konzert starb eine junge Frau im Gedränge vor der Bühne. Die Hosen
sagten alle weiteren Konzerte ab, um sich in einem vorsichtigen Prozess auf die
Bühnen zurück zu tasten. Dass der Band der Sinn nicht nach Unbekümmertheit
stand, kam in «Unsterblich» (1999) zum Ausdruck. Das Album war geprägt von
auffallend vielen ruhigen Songs, obwohl es mit einer Hymne gegen den FC Bayern
auch einen herzhaften Brüller lieferte.
Do-it-yourself
Im Interview zum neuen Album zeigt sich Bassist Andreas Meurer als
ruhiger Mensch, der differenzierte Antworten gibt. Ungewöhnlich in einem
Geschäft, in dem jede Möglichkeit zur Glorifizierung ergriffen wird. «Wir
hatten den Plan, es mehr krachen zu lassen, wir wollten bewusst schnellere
Stücke schreiben. Letztlich kommt es zwar so raus, wie es in dir drin ist, aber
du kannst es steuern. Wir hatten bei den Aufnahmen zu dieser Platte natürlich
auch Stücke, die langsamer waren. Die haben wir dann einfach liegen gelassen.»
Als eine Antwort auf die nachdenklichen Alben dürfe man «Auswärtsspiel» nicht
verstehen. «Die Spielfreude kommt wohl daher, wie wir die Platte angegangen
sind. Wir haben uns in Spanien ein Haus gemietet und uns eingeschlossen. Wären
wir in Düsseldorf geblieben, wären wir zu sehr abgelenkt gewesen von den alltäglichen
Sachen.» Die Lockerheit hat zu Songs wie «Schwimmen» geführt. Die Hosen
trommeln auf diversen Metallteilen und beschwören dabei ein so ursprüngliches
«Do-it-yourself»-Punkgefühl herauf, wie man es heute nicht mehr zu finden
erwartet. Die Lockerheit beim ersten Hören täuscht, «Auswärtsspiel» ist
komplex. Die Witze («Graue Panther», «Kanzler sein . . .») sind besser
geworden, das obligate Trinklied klang schon euphorischer und «Venceremos - wir werden siegen» ist gar eine Art nüchterne
Reportage aus Castros Kuba, wenn auch der hymnische Refrain einen schalen
Nachgeschmack hinterlässt. Kurz: die Toten Hosen sind noch immer zu Scherzen
aufgelegt, aber sie sind (längst) erwachsen geworden. Vielleicht wird das jetzt
sogar zur Kenntnis genommen.
«Auswärtsspiel», Warner Music
Konzert: 19.4.2002 Hallenstadion Zürich.
Copyright Andreas Meier
Mittwoch, Oktober 09, 2002